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Neokoloniale Klassik im Regenwald

„Exklusive musikalische Abende im Panorama am Zoo“ „inmitten des faszinierenden Kunstwerks AMAZONIEN“ wird mir in Hannover angeboten. Es ist schon langer nichts Neues mehr, dass Klassik nur noch ein junges Publikum anzieht, wenn sie in einer ungewohnten Umgebung aufgeführt wird. Hier ist es kein Club oder eine Fabrikhalle, sondern eine exotische Welt, die zudem das romantische Musikkonzept von Klang und Natur verbindet: wir können also Streichquartette hören und gleichzeitig ihre Analogien in organischen Strukturen bewundern und den Klangfarben und -atmosphären nachspüren. 

Das kann man alles im europäischen Rahmen so machen, wenn man will. Wahrscheinlich sogar erfolgreich. Allerdings ist der Regenwald kein deutscher Mischwald und die Tropen stellen keine unberührte Natur dar, sondern sind ein politisch und religiös durch den Kolonialismus und die christliche Mission konnotierter Raum. Blasmusik im Regenwald, das gab es nämlich zur Genüge, wenn wir uns zum Beispiel die Missionare und die Schutztruppe in der ehemals deutschen Kolonie Kamerun anschauen. Waren auch „hochtalentierte Nachwuchskünstler?“



Es geht mir hier nicht nur um die visuellen Analogien, die klassische Musik im Regenwald hervorruft. Diese Musizierpraxis war zu kolonialer Zeit auch mit einem Ziel verbunden, nämlich die Schwarzen „zu zivilisieren“ und gleichzeitig westliche Ordnung in den für Europäer chaotisch wirkenden Regenwald zu bringen. Das wird mit diesen Konzerten in Hannover redupliziert. Ganz besonders mit dem Angebot danach „durch den tropischen Regenwald zu flanieren“ und dabei den „Artenreichtum der Natur und die Fragilität des Regenwalds“ zu erleben. So als wären die Tropen auf dieser Welt eine Gegend, in der kein Mensch leben würde. Oder als wären die Menschen, die dort leben, den Tieren zuzuordnen. Ganz wie man es interpretieren mag.

Keine Tätergesichter im bedrohten Paradies

Der biblische „Garten Eden“ soll sich irgendwo im Zweistromland befunden haben. Neuerdings lernen unsere Kinder, dass sich das Paradies in Südamerika befindet. Damit dass glaubhaft ist, versieht das Kinder-Apotheken-Magazin medizini seine Reportage mit ausreichend christlicher Symbolik der Schöpfungsgeschichte: Himmel, Erde ein reißender Fluss, Wälder, Pflanzen, Tiere und – höchst prominent – eine verführerische Baumschlange.

Die Menschen, die heute dort im Regenwald leben, sind koloniale „Kinder der Natur“, wie schnell zu erkennen ist. Sie bemalen sich das Gesicht und stecken sich Stöcken unter die Unterlippe. Die Yanomami Frauen stehen im Fluss, wie sie Gott erschaffen hat. Die ebenso fast nackten Kinder üben „spielerisch“ den Umgang mit Waffen. Was für eine Seelenruhe herrscht in dieser Kultur, angeblich ganz ohne schädigende Einfluss der Zivilisation oder Apotheken!

Allerdings wird unseren Kindern auch vermittelt, dass dieses Paradies bedroht ist. Nicht aber, weil die Menschen die Früchte des Baums der Erkenntnis essen, sondern durch Brandrodung, Abholzung und Ausbeutung der Bodenschätze, wobei der Boden mit Chemikalien vergiftet wird. 

Die Täter dieses gottlosen Handelns werden aber nicht gezeigt. Weder die Yanomami-Männer bei der Brandrodung noch die westlichen Weißen Waldarbeiter, Händler und Goldschürfer. Wir sehen nur die verheerenden Folgen für das Land und dicke Baumstämme auf dicken lauten Lastern. Der einzige weiße Mann in der Reportage ist ein WWF-Experte, der den Kindern gutmütig Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. Was für eine verdrehte Welt? 

Ist es womöglich deutschen Kindern nicht zumutbar zu zeigen, wer den Schaden im Amazonas anrichtet? Wären sie vielleicht irritiert, wenn dort mein Bild eines Mannes abgedruckt wäre, der möglicherweise gar nicht so anders aussieht wie ihr eigener Vater? In diesem Paradies wird also Erkenntnis gezielt verschleiert – was sollen die deutschen Kinder nur daraus lernen?