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Klangloses Menschenrechts-Jubiläum

Amnesty International hat in ihrem aktuellen Magazin ein fröhliches Wimmelbild mit allen 28 Artikeln der Menschenrechtserklärung abgedruckt. Das ist meiner Meinung nach eine feine Idee: übersichtlich, mit einem zwinkernden Auge und reproduziert kaum Stereotype, was bei der Vereinfachung der Visualisierungen sehr leicht passieren könnte. Ich frage mich nur: wo bleibt hier das Kulturleben der Menschheit? Unter den 28 Szenen des Bildes gibt es genau eine Szene, auf der ein Musiker erscheint. Theater und Tanz existiert gleich gar nicht. Von musizierenden Frauen ganz zu schweigen.

Dabei ist so viel Gutes auf dem Bild zu entdecken. Die Gleichheit der Geburt verschiedener Menschen wird durch gleiche Kleidung der Babys symbolisiert. Die Ablehnung von Diskriminierung ist erstaunlich farbenblind gemalt. Der Ehebegriff ist selbstverständlich erweitert und kulturblind dargestellt.

Aber gerade bei den Hochzeiten, fehlen die in den meisten Kulturen dazu gehörigen Gemeinschaftsfeiern. Die Religionszugehörigkeit wird ebenso ohne jedes Gemeinschaftsritual mit Gesang oder Tanz dargestellt. Unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung wird  nur die öffentliche Rede verstanden, nicht das Lied oder de Performance. Auch zur Freizeitgestaltung scheinen kulturelle Aktivitäten nicht zu gehören.

Einzig bei dem Recht auf künstlerische Freiheit erscheint der Weiße Hippie mit der Gitarre. Dieser äußert sich zwar politisch, aber ist doch in westlichen Kulturen nie ernsthaft von politischer Verfolgung bedroht. Wie anders geht es da Musiker*innen in autokratischen und religiösen Staaten. Wären die nicht die besseren Personen an dieser Stelle gewesen?

Und letztlich stellt sich mir schon die Frage, was für eine individualistisch-westliche Vorstellung hinter diesem Bild im Ganzen steckt, wenn Bereiche des Lebens wie der Glaube oder die Ehe, die kulturell ohne Gemeinschaft gar nicht zu denken sind, hier so abgebildet werden, als ginge es dabei nur um individuelle Entscheidungen von Einzelnen. Haben die so wichtigen Menschenrechte in unser Zeit überhaupt eine Chance, wenn sie nicht an die Gemeinschaft gebunden, von der Gemeinschaft diskutiert und von der Gemeinschaft getragen werden?