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Tina Turner hinterm Tresen?

Alle Bäckereien suchen heutzutage Verkäuferinnen. Überall sehe ich Werbung dafür. Ich bin wirklich überrascht. Niemand nimmt da jemand eine Arbeitsstelle weg. Würden alle Arbeitssuchenden so einen Job annehmen, hätten wir wahrscheinlich Vollbeschäftigung in Deutschland und alle rechtzeitig ihre Lieblingsbrötchen auf dem Frühstückstisch.

Aber anscheinend ist die Arbeit so unattraktiv oder so schlecht bezahlt, dass die Werbung für Verkaufsfachkräfte immer aggressiver wird. Wie hier bei der Bäckerei, die sich direkt neben unser Musikhochschule mit recht vielen internationalen Studierenden befindet.

Ich versuche, den Werbespruch und die Bildaussage mal zu begreifen. Die Betreiber suchen also „Rockstars im Verkauf“ und zeigen dazu eine lächelnde Frau mit dunkler Hautfarbe und schwarzen Locken, die mit verschränkten Armen abwartend hinter dem Tresen steht. Im Hintergrund sortiert ein weißer Mann mit kurzen blond-braunen Haaren recht geschäftig längliche Brote in ein Regal ein.

Verstehe ich jetzt „Rockstars“ mal im üblichen Sinne, dann reden wir von einer populären Sängerin. Warum muss die dann Schwarz sein? Eine Art Tina Turner Double hinter den Bäckertresen? Wozu? Mit „simply the best“ die Brötchen oder die Brötchenkäufer besingen, während der Mann hinter ihr routiniert seine Brot-Stange ins passende Regal schiebt?

Oder wollte die Werbeagentur sich einen Scherz erlauben und spielte mit dem deutsch-englischen Wort „Rock“? Schade, dass wir nur den oberen Teil der Schürze der Frau sehen und nicht den Rock, den sie darunter tragen könnte. Dann versprechen sie also Frauen einen Star-Status, während sie belegte Baguettes und Kaffee To-go abkassiert? Bin mir nicht so sicher, ob diese Rechnung aufgeht. Außerdem erklärt mir das die „m/w/d“ Ansprache nicht. Sollen „m“ und „d“ auch im Rock im Laden stehen? Da hätte ich gerne mehr Informationen dazu.

Oder wollen Betreiber der Bäckereikette vielleicht die internationalen Studierenden und People of Color unseres Popmusik-Studienganges ansprechen, nach dem Motto: „Hört mal, ist ja schön, dass ihr hier studiert, aber bildet euch nicht zu viel ein. Als ethnisch markierte Personen werdet ihr in Deutschland doch irgendwann hinter dem Tresen landen. Aber ist ja nicht so schlimm, die Arbeitsplätze sind ja „sicher und langfristig“.

Wäre mal spannend zu erfahren, wie die Werbung von Göing zwischen 1920 und 1945 aussah, wenn die auf ihre Traditionen so stolz sind. Das Tragische ist, dass die Bäckerei wirklich ganz ausgezeichnete Backwaren produziert. So dass ich sie nicht mal guten Gewissens boykottieren kann.

Neokoloniale Klassik im Regenwald

„Exklusive musikalische Abende im Panorama am Zoo“ „inmitten des faszinierenden Kunstwerks AMAZONIEN“ wird mir in Hannover angeboten. Es ist schon langer nichts Neues mehr, dass Klassik nur noch ein junges Publikum anzieht, wenn sie in einer ungewohnten Umgebung aufgeführt wird. Hier ist es kein Club oder eine Fabrikhalle, sondern eine exotische Welt, die zudem das romantische Musikkonzept von Klang und Natur verbindet: wir können also Streichquartette hören und gleichzeitig ihre Analogien in organischen Strukturen bewundern und den Klangfarben und -atmosphären nachspüren. 

Das kann man alles im europäischen Rahmen so machen, wenn man will. Wahrscheinlich sogar erfolgreich. Allerdings ist der Regenwald kein deutscher Mischwald und die Tropen stellen keine unberührte Natur dar, sondern sind ein politisch und religiös durch den Kolonialismus und die christliche Mission konnotierter Raum. Blasmusik im Regenwald, das gab es nämlich zur Genüge, wenn wir uns zum Beispiel die Missionare und die Schutztruppe in der ehemals deutschen Kolonie Kamerun anschauen. Waren auch „hochtalentierte Nachwuchskünstler?“



Es geht mir hier nicht nur um die visuellen Analogien, die klassische Musik im Regenwald hervorruft. Diese Musizierpraxis war zu kolonialer Zeit auch mit einem Ziel verbunden, nämlich die Schwarzen „zu zivilisieren“ und gleichzeitig westliche Ordnung in den für Europäer chaotisch wirkenden Regenwald zu bringen. Das wird mit diesen Konzerten in Hannover redupliziert. Ganz besonders mit dem Angebot danach „durch den tropischen Regenwald zu flanieren“ und dabei den „Artenreichtum der Natur und die Fragilität des Regenwalds“ zu erleben. So als wären die Tropen auf dieser Welt eine Gegend, in der kein Mensch leben würde. Oder als wären die Menschen, die dort leben, den Tieren zuzuordnen. Ganz wie man es interpretieren mag.