Archiv der Kategorie: Postkolonialismus

Afrikanische Natur versus asiatische Kultur

Im Januar sollen wir alle unsere Jahresurlaube buchen. Die Reiseanbieter reduzieren für uns dabei vorab gerne mal die sehr komplexe und unübersichtliche Welt. Da seit kolonialer Zeit Europa den afrikanischen Kontinent gerne naturalisiert, sollen wir diesem Bild weiterhin folgen und in Uganda allein unter Gorillas leben. In der Gegend leben neben „Menschenaffen“ und „Baumlöwen“ auch die „Batwa, ein Pygmäenstamm, der nach der Erschaffung der Bwindi-Nationalparks umgesiedelt wurde“. Ist das wirklich alles, was man zu diesem afrikanischen Staat mit 35 Millionen Einwohnern mit 60 Volksgruppen sagen kann?

Nun gut, wer nicht am dritten Tag zwischen Schimpansen und Nationalpark die „Traditionen und Kultur der Batwa“ kennen lernen will, kann ja nach Asien reisen. Dort gibt es nicht nur drei „Königsstädte“ zu besuchen, sondern auch „sieben Unesco-Weltkulturerbestätten“ in einem einzigen Tal. Auf dem „Climate-Trek“ – zu dem man allerdigs nicht C02 neutral anreisen kann – gibt es natürlich auch Natur zu sehen, aber eben auch viel goldene Kulturgüter und „buddhistische Tschörten, Stupas und Wassermühlen“ (Sind nicht eher Gebetsmühlen gemeint???). Mit dem Besuch „ökologische Lodges“ sichert man das Leben einiger der 28 Millionen Einwohner „langfristig“. Also Unterstützung der asiatischen Entwicklung anstelle von Beobachten der Überlebenden von Pygmäenstämmen im afrikanischen Nationalpark. 

Asien, so lernen wir hier im direkten Vergleich auf einer Seite, besitzt Natur und Kultur und verdient sogar unsere Hilfe. Afrika dagegen ist ein Urwald, den man nur aus zoologischem Interesse besuchen kann. Solche vereinfachenden Zuweisungen nimmt allerdings nicht nur ZEIT Reisen vor, das Konzept kennen wir auch aus Disney Kinderfilmen über andere Kontinente: da singen Tiere im afrikanischen Lion King, wohingegen „natürlich“ in China die starke Mulan um ihr Recht als Frau kämpft. 

Vielleicht sollte man sich nach dem Preis entscheiden? Die Reise ins weit entfernte Nepal ist drei Tage länger und kostet weniger als die Hälfte der afrikanischen Expedition. Aber vielleicht werden die „Haremsführern der Schimpansenfamilie“ ja auch besser unterstützt als die Lodgebesitzer in Nepal, ohne dass das erwähnt wird.

Freude schöner Fair-Trade Handel!

Fair Trade ist ja eine schöne Sache. Da erhalten die Produzenten von bestimmten Produkten, die im Globalen Süden leben, einen gerechten Preis für ihre Arbeit von Käufern aus westlichen Industriestaaten. Da fühlen wir uns als Käufer gut, weil wir uns endlich ehrlich eingestehen, dass die meisten Produkte in unseren Kaufhäusern unter ausbeuterischen Umständen entstehen. Zugleich sind wir trotz billiger Vergleichsangebote bereit, mehr Geld auszugeben, womit wir unser eigenes Wirtschaftsmodell ein wenig auf den Kopf stellen. Wie verrückt! Die Welt wird gerechter und die Lebensumstände gleicher. Da können wir schon mal vor Freude in die Luft springen und tanzen! 


Aber eigentlich geht es dabei doch nicht um uns, sondern um die Menschen, die nun endlich einen gerechten Lohn für ihre Arbeit erhalten. Etwas, was bei uns mehr oder weniger selbstverständlich und durch Politik und Gewerkschaften einigermaßen abgesichert ist. Tanzen und Springen sollten also die Produzenten! 

Hier bei der Fair Trade Marke von Cocobaträllert aber nicht der Mann mit dem roten Hut im Sonnenschein sein Ayyayaya coco jambo, sondern die schwarz-weißen Frauen in winterfesten Klamotten. Maximaler Kontrast zwischen den Personen, die sich doch durch den gerechten Handel eigentlich näher kommen sollten. Verstehe ich nicht.

Aber damit man mich nicht falsch versteht: an dem Inhalt des Produktes habe ich nichts auszusetzen, an der fairen Produktionsweise weiß Gott auch nichts. Aber solange das Marketing selbst in diesem kleinen Segment von Fair Trade Produkten auf diese recht stereotype Weise abläuft, wird sich an dem Machtgefälle zwischen den Gesellschaften auf der Welt wenig ändern. 

Der musikalische Schwerpunkt eines Globus

Ein Globus ist eigentlich eine feine Sache. Da wird die Welt beinahe maßstabsgenau auf einer Kugel abgebildet, die man sich von allen Seiten gleichzeitig ansehen kann. Es kommt nicht zu den Verzerrungen einer Karte und der Frage nach Kontinenten im Zentrum und in der Peripherie. Schnell erkennt man, wie klein geographisch betrachtet die Nationen sind, die sich durch ihre wirtschaftliche Stärke und kulturelle Dominanz so groß und wichtig fühlen.

Nun stellen manche Globen aber nicht nur Wasser und Land und nationale Grenzen dar, sondern auch die kulturellen Errungenschaften der Menschheit wie dieser hier. Sehenswürdigkeiten, Tätigkeiten und wichtige Erfindungen sind hier an die verschiedenen Regionen der Welt angeheftet. 

Und wenn ich nun zum Thema Musik genauer hinschaue, werde ich zunächst herb enttäuscht. Bildende und darstellende Künste scheinen die Macher dieser Erdkugel als unwesentlich für die menschliche Entwicklung anzusehen. Dabei ist doch schon das Drehen um sich selbst und gleichzeitige regelmäßige Drehen um die Sonne eine rhythmische Choreographie. 

Aber dann werde ich doch fündig: das einziges Bauwerk, das direkt mit Musik verbunden ist, ist das Opernhaus von Sydney. Ich verstehe schon, dass dieses Gebäude für die meisten Menschen mehr Ruhm aufgrund seiner architektonischen Besonderheit erlangt hat als aufgrund der Musik, die darin praktiziert wird. 

Aber ist es dennoch nicht ein Armutszeugnis, wenn der einzige Bezug zu Musik auf dieser Miniaturerde von einem Haus ausgeht, das gebaut wurde, um in der ehemaligen britischen Kolonie Australien klassische europäische Musik adäquat aufführen zu können? Wäre ich ein Außerirdischer, dem sich die Welt tatsächlich so präsentieren würde. Wo würde ich dann landen wollen?

Kultursensible Darstellung Asiens – das ging schon 1984

Es herrscht in unser Gesellschaft die Meinung vor, dass sensibler Umgang mit fremden Kulturen und Anti-Rassismus eine neuzeitliche Erscheinung sei und wir deswegen historische Texte deswegen nicht kritisieren dürften. Damals habe man eben so geschrieben und so gedacht.

Ein Gegenbeispiel dafür finde ich in dem Kinderbuch „ASIEN. Entlang der großen Ströme“ vom kosmos franckh Verlag aus dem Jahr 1984. Es ist ein schöner Beweis dafür, dass es bei der Darstellung fremder Kulturen vor allem um Wissen, Erfahrung, Empathie und Verstand geht.

Bereits auf dem Cover des Buches werden sowohl stereotype Bilder des Orients (der Schlangenbeschwörer) und das der wilden Natur (schwimmender Tiger) dargestellt. Aber eben gleichzeitig auch historische Tempelbauten hinter neuartigen Betonkomplexen. Vergangenheit und Gegenwart schließen sich nicht aus und existieren nebeneinander. Asien ist kein Reich der Phantasie.

Dieser Bildausschnitt gehört nach Thailand, das im Innern es Buches noch mit einem begleitenden Text vorgestellt wird. In wenigen Bildern wird hier eine königliche urbane Parade auf dem Menang dargestellt, neben dem einfachen Bauern auf dem Land mit seinem Wasserbüffel, den architektonischen Highlights in Bangkok und einer thailändischen Tanzform. Der Text erweitert die Diversität durch die Beschreibung verschiedener Landesteile inklusive ihrer unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen und der internationalen ethnischen Verbindungen Thailands nach China, Birma und Laos. Mehr geht in der Kürze der Texte innerhalb dieses Buches wirklich nicht.

Was aber noch überrascht, ist, dass der thailändische Tanz nicht auf seinen Ausdruck hin exotisiert, sondern in wenigen Worten ansatzweise in seine kulturelle Zusammenhänge eingeordnet wird. 

So etwas ging also bereits vor über 35 Jahren. Warum sollte das heute nicht noch besser gehen?

Die Liebe der Banken zu technisch perfekter Musik

Vordergründig könnte man denken, Banken und Musik haben überhaupt nichts gemein. Musik gilt als eine brotlose Kunst und große Banken sind selten Orte der künstlerischen Kreativität. Umso erstaunlicher ist, wie oft Musiker auf Werbeplakaten von Banken erscheinen.

Wie zu erkennen ist, scheint sich aber nur ein bestimmtes Musikgenre für die Werbung junger Menschen in Deutschland zu eignen: die technisch erstellte, reproduzierbare, medial vermittelte und vermarktete populäre Musik. Ist unsere Musikkultur mittlerweile so heruntergekommen, dass sie sich auf Technik, Digitalisierung und Produktwert reduzieren lässt? Und dass das sogar noch positiv wahrgenommen wird?

Ach nein, es gibt natürlich auch noch die emotionale Seite der Bankgeschäfte, das kulturelle Sponsoring. Angeblich neben dem Fußball das am meisten geliebte Förderobjekt von Banken. Nutznießer davon ist aber selbstverständlich nur die technisch perfekte, leistungsorientierte Hochkultur.

Dabei spielen Banken durchaus eine zentrale Rolle in internationalen Entwicklungen. Es war die Weltbank, die mit ihren Strukturanpassungsprogrammen in den Ländern des Globalen Südens einen mörderischen liberalen Kapitalismus freigesetzt hat. Organisationen wie Western Union dagegen ermöglichen erst die Direktüberweisungen von Afrikaner*innen in der Diaspora zu ihren Verwandten in Afrika, die mittlerweile den dreifachen Umfang der internationalen Entwicklungshilfe ausmachen. Und alle erfolgreichen Weltmusiker wählen sich seit langem schon einen Wohnsitz in einem europäischen Land oder Amerika, weil sich von dort ihr ökonomischer Erfolg besser koordinieren lässt.

Lokale Musiktraditionen überall auf der Welt, die noch aus Freude und Gemeinschaftssinn ganz ohne Gedanken ans Geldverdienen stattfinden, brechen nun gegen die Übermacht der medialen Verbreitung und Vermarktung von Musik vielfach zusammen. Aber das eignet sich aber natürlich nicht zu Werbezwecken für Bankgeschäfte. Dabei müsste genau da investiert werden und nicht in den Bereichen der Musikkultur, wo ohnehin schon genug Geld vorhanden ist.

Neokoloniale Klassik im Regenwald

„Exklusive musikalische Abende im Panorama am Zoo“ „inmitten des faszinierenden Kunstwerks AMAZONIEN“ wird mir in Hannover angeboten. Es ist schon langer nichts Neues mehr, dass Klassik nur noch ein junges Publikum anzieht, wenn sie in einer ungewohnten Umgebung aufgeführt wird. Hier ist es kein Club oder eine Fabrikhalle, sondern eine exotische Welt, die zudem das romantische Musikkonzept von Klang und Natur verbindet: wir können also Streichquartette hören und gleichzeitig ihre Analogien in organischen Strukturen bewundern und den Klangfarben und -atmosphären nachspüren. 

Das kann man alles im europäischen Rahmen so machen, wenn man will. Wahrscheinlich sogar erfolgreich. Allerdings ist der Regenwald kein deutscher Mischwald und die Tropen stellen keine unberührte Natur dar, sondern sind ein politisch und religiös durch den Kolonialismus und die christliche Mission konnotierter Raum. Blasmusik im Regenwald, das gab es nämlich zur Genüge, wenn wir uns zum Beispiel die Missionare und die Schutztruppe in der ehemals deutschen Kolonie Kamerun anschauen. Waren auch „hochtalentierte Nachwuchskünstler?“



Es geht mir hier nicht nur um die visuellen Analogien, die klassische Musik im Regenwald hervorruft. Diese Musizierpraxis war zu kolonialer Zeit auch mit einem Ziel verbunden, nämlich die Schwarzen „zu zivilisieren“ und gleichzeitig westliche Ordnung in den für Europäer chaotisch wirkenden Regenwald zu bringen. Das wird mit diesen Konzerten in Hannover redupliziert. Ganz besonders mit dem Angebot danach „durch den tropischen Regenwald zu flanieren“ und dabei den „Artenreichtum der Natur und die Fragilität des Regenwalds“ zu erleben. So als wären die Tropen auf dieser Welt eine Gegend, in der kein Mensch leben würde. Oder als wären die Menschen, die dort leben, den Tieren zuzuordnen. Ganz wie man es interpretieren mag.

Musikalische Unternehmensberatung?

Die Boston Consulting Group ist kein Klavierbauer, wie man nach diesem Bild hier denken könnte, sondern eine internationale Unternehmungsberatung. Mit Musik soll hier vielmehr die Werbetrommel für neues Fachpersonal gerührt werden. Der Flügel wurde ausgewählt, um auch wirklich intellektuelles Publikum anzusprechen. Dazu noch einen Denkerkopf, ein ausgestopftes Tier und Philosophie im Reclamheftchen-Format.

Da hat sich schon eine absichtlich diverse Gruppe um den Flügel eingefunden, acht Leute, jeweils vier und vier ausgegendert, alle Altersgruppen, Haarfarben und unterschiedliche Hautfarben vorhanden. Und alle wollen „auf globaler Ebene etwas bewegen“, ist das nicht herrlich?

Naja, wenn man genau hinschaut bemerkt man, dass der weiße alte Mann mit Halbglatze deutlich das Ganze an den Tasten anführt. Ihm gegenüber an der Position, an der bei Chansonaufführungen die Sängerin auf den Flügel sitzen würde, liegt der andere weiße Mann mit Brille auf dem Kasten und betrachtet analytisch das Geschehen. Die Frauen dagegen dürfen alle nur zugucken und lächeln. Der Mann mit den schwarzen Locken dreht sich sogar halb aus dem Geschehen weg und nimmt mit keinem Augenkontakt auf. Nur der Mann mit dem verrückt bunten Hemd, dessen Kopf beinahe auf dem Flügeldeckel klebt, gibt eine Gesangsdarbietung. Die ist aber aufgrund seiner etwas eigenartigen Mundstellung eher ironisch zu verstehen. Soll das etwas mit seiner Herkunft zu tun haben? Das verspricht ja ein ganz attraktives Unternehmen mit wenig Hierarchie zu sein! Erwarte das Unerwartete!

Ich könnte noch darauf hinweisen, dass der Flügel sicher nicht ohne Grund weiß ist. Oder dass früher die Klaviertasten aus Elfenbein hergestellt wurden. Ist das etwa Zufall? 

Süße Fair-Suchung oder Cookie-Monster?

Irgendwie scheint ALDI etwas missverstanden zu haben. Für das Fair-Trade Siegel „müssen die internationalen Fairtrade-Standards eingehalten werden, die weitreichende soziale, ökonomische und ökologische Aspekte abdecken. Darunter z. B. die Zahlung von Fairtrade-Mindestpreisen und der Fairtrade-Prämie, das Verbot von illegaler Kinderarbeit und die Einhaltung von Umweltschutzkriterien“. Kurz gesagt, es soll all das verhindert werden, was in der europäischen Kolonialzeit gang und gäbe war, nämlich andere Kulturen zu entdecken, erobern, zu besetzen und auszubeuten.

Diese Werbung hier versucht uns aber zu zeigen, dass beides gleichzeitig gehen soll. Entdecker-Expedition und Fairtrade! Dafür wird aus den fair gehandelten Cookies ein europäisch romantischer Berg gebastelt mit Tannenwäldchen, Eichhörnchen und Gipfelfähnchen. „Im Frühtau zu Berge wir ziehen, fallera!“ 

Klingt harmlos – aber den Mount Cook gibt es wirklich, mehrfach sogar. Besonders bekannt ist der aus Neuseeland. der nach dem britischen Entdecker James Cook benannt wurde, der – nebenbei erwähnt – für Großbritannien die Inseln eingenommen hat.

Nun sieht der neuseeländische Berg aber so gar nicht nach den Keksen aus und „süß“ ist er nun mal auch nicht. So dass sich schnell die Frage stellt, ob hier wirklich eine Landschaft assoziiert werden soll, oder doch nicht vielleicht eine „süße“ Person namens „Cookie“ mit der entsprechenden Hautfarbe erobert werden soll? Die Schokoladenkurven lassen da so einigen Interpretationsspielraum offen. Erinnert sich jemand an R. Kellys “Cookie”-Song?

„Mm like an Oreo/ I love to lick the middle like an Oreo/
Oreo, Oreo, like an Oreo/ I wanna bite it, and get inside it til I get you gone”

Und man will es kaum glauben, aber ALDI gewinnt mit solchen Produkten und Kampagnen sogar noch den Fairtrade Award