Verschenkekisten sind eine feine Sache. Da legt man das Zeug, das man nicht mehr braucht, vor die Tür. Jemand, der es noch gebrauchen kann, nimmt es sich mit. Und wenn der nichts mehr damit anzufangen weiß, stellt er es wiederum raus für den nächsten. Das ist nicht nur billig, sondern auch Ressourcen schonend. Aber ist das auch immer klug?
Ich habe in den letzten Monaten mal solche Boxen nach Kinderliederbüchern durchgeschaut. Das ist ja so eine Sorte von Literatur, die man immer nur für ein paar Jahre braucht und die danach verstaubt, bis die nächsten Kinder in der Familie geboren werden. Ideale Tauschware also für Verschenkekisten.
Wenn ich mir nun aber die Bücher anschaue, die da im Augenblick so hin und her geschenkt werden, wundere ich mich nicht mehr, dass meine Studierenden noch so manches Kinderlied kennen, das seit Jahrzehnten nicht mehr in Neuauflagen abgedruckt wird. Hier etwa das harmlos klingende „Kinderliederbuch“ von Sigrid Dückert aus dem Jahr 1948. Da war die nationalsozialistische Ideologie, die auch gegen Schwarze gerichtet war, gerade drei Jahre vorbei. Und selbstverständlich findet sich da dennoch das Lied von den „10 kleinen N.“
Unbestritten handelt es sich hierbei um ein Lied mit einem durch und durch rassistischen Text. Es ist ja grundsätzlich schon eigenartig, wie Eltern es mal gut finden konnten, ein Lied zu singen, in dem in jeder Strophe ein Kleinkind ums Leben kommt. Was soll daran lustig sein, außer man ist der Ansicht, dass diese Schwarzen Kinder keine gleichwertige Lebensberechtigung besitzen. Aus historischer Sicht erkennt man den rassistischen Hintergrund schon allein daran, dass die Kinder, hier alles Mädchen, alle stereotyp naiv die dargestellt werden und kaum voneinander zu unterscheiden sind. Sehen alle so aus oder sind sie die Geschwister?
Das ist bei weitem kein Einzelfall. Ein paar Wochen später entdecke ich dieses Buch mit den angeblich „schönsten“ Kinderliedern, herausgegeben von Ernst Klusen in der letzten Auflage von 2009 (!). Und wieder eine sehr ähnliche Darstellung. Nur in den Farben der T-Shirts unterscheiden sich die Kinder mit den erhobenen Armen, diesmal sind es Jungs. Was soll daran „schön“ sein? Werden diese Lieder wirklich von meinen Nachbarn noch gesungen?
Gehört so etwas in eine Verschenkekiste oder sollten diese Bücher nicht eher im Aktenschredder landen? Denn das Schlimme ist ja, das Lied wird tatsächlich weiter reproduziert. Ein österreichischer Verlag gibt das Lied als Gedicht zum Zählenlernen immer noch heraus und ist sich nicht zu blöd, das N.-Wort mit „Kinderlein“ zu retuschieren. Die Bilder bleiben aber erhalten, zehn Schwarze Mädchen mit dem gleichen Afro-Look.
Ich ertappe mich seit diesen Entdeckungen dabei, wie ich die Kisten vor den Häusern weiterhin interessiert durchsuche. Aber nicht mehr, um Passendes für mich zu finden, sondern um bestimmte Bücher auszusortieren und in mein sicheres Privatarchiv abzulegen. Wo wie gesundheitsschädliche Medizin Kindern nicht zugänglich sind.