Alle Beiträge von Nepomuk Riva

Rassismus zu verschenken

Verschenkekisten sind eine feine Sache. Da legt man das Zeug, das man nicht mehr braucht, vor die Tür. Jemand, der es noch gebrauchen kann, nimmt es sich mit. Und wenn der nichts mehr damit anzufangen weiß, stellt er es wiederum raus für den nächsten. Das ist nicht nur billig, sondern auch Ressourcen schonend. Aber ist das auch immer klug?

Ich habe in den letzten Monaten mal solche Boxen nach Kinderliederbüchern durchgeschaut. Das ist ja so eine Sorte von Literatur, die man immer nur für ein paar Jahre braucht und die danach verstaubt, bis die nächsten Kinder in der Familie geboren werden. Ideale Tauschware also für Verschenkekisten.

Wenn ich mir nun aber die Bücher anschaue, die da im Augenblick so hin und her geschenkt werden, wundere ich mich nicht mehr, dass meine Studierenden noch so manches Kinderlied kennen, das seit Jahrzehnten nicht mehr in Neuauflagen abgedruckt wird. Hier etwa das harmlos klingende „Kinderliederbuch“ von Sigrid Dückert aus dem Jahr 1948. Da war die nationalsozialistische Ideologie, die auch gegen Schwarze gerichtet war, gerade drei Jahre vorbei. Und selbstverständlich findet sich da dennoch das Lied von den „10 kleinen N.“

Unbestritten handelt es sich hierbei um ein Lied mit einem durch und durch rassistischen Text. Es ist ja grundsätzlich schon eigenartig, wie Eltern es mal gut finden konnten, ein Lied zu singen, in dem in jeder Strophe ein Kleinkind ums Leben kommt. Was soll daran lustig sein, außer man ist der Ansicht, dass diese Schwarzen Kinder keine gleichwertige Lebensberechtigung besitzen. Aus historischer Sicht erkennt man den rassistischen Hintergrund schon allein daran, dass die Kinder, hier alles Mädchen, alle stereotyp naiv die dargestellt werden und kaum voneinander zu unterscheiden sind. Sehen alle so aus oder sind sie die Geschwister?

Das ist bei weitem kein Einzelfall. Ein paar Wochen später entdecke ich dieses Buch mit den angeblich „schönsten“ Kinderliedern, herausgegeben von Ernst Klusen in der letzten Auflage von 2009 (!). Und wieder eine sehr ähnliche Darstellung. Nur in den Farben der T-Shirts unterscheiden sich die Kinder mit den erhobenen Armen, diesmal sind es Jungs. Was soll daran „schön“ sein? Werden diese Lieder wirklich von meinen Nachbarn noch gesungen?

Gehört so etwas in eine Verschenkekiste oder sollten diese Bücher nicht eher im Aktenschredder landen? Denn das Schlimme ist ja, das Lied wird tatsächlich weiter reproduziert. Ein österreichischer Verlag gibt das Lied als Gedicht zum Zählenlernen immer noch heraus und ist sich nicht zu blöd, das N.-Wort mit „Kinderlein“ zu retuschieren. Die Bilder bleiben aber erhalten, zehn Schwarze Mädchen mit dem gleichen Afro-Look.

Ich ertappe mich seit diesen Entdeckungen dabei, wie ich die Kisten vor den Häusern weiterhin interessiert durchsuche. Aber nicht mehr, um Passendes für mich zu finden, sondern um bestimmte Bücher auszusortieren und in mein sicheres Privatarchiv abzulegen. Wo wie gesundheitsschädliche Medizin Kindern nicht zugänglich sind.

Deutsch-chinesische Freundschaft? Wie „3 Chinesen mit dem Kontrabass“ bebildert werden

Viele Leser*innen der Hannoverschen Allgemeinen bringt es in Rage, dass ich gewagt habe zu behaupten, dass ich das Kinderlied „3 Chinesen mit dem Kontrabass“ aufgrund seiner Benutzung im Mobbing-Kontext und seines historischen Ursprungs nicht für harmlos, sondern rassistisch halte (Genaueres dazu hier). Nehmen wir mal für einen Augenblick Abstand von persönlichen Angriffen und widmen uns der Frage, wie das Lied in den heute gängigen Kinderliederbüchern bebildert wird. Das könnte ja auch Aufschluss darüber geben, wie es verstanden werden soll.

Beginnen wir mit der billigen, aber weit verbreiteten Publikation „Das traditionelle Kinderliederbuch“ vom Label „Lamp und Leute“. Neben zur Hochzeit verkleideten Vögeln und zu Prinzessin und Ritter verkleideten Kindern finden sich gleich auf dem Titel drei Kinder in folkloristischen Kostümen und mit Dreieckshüten, deren Augenform ihre asiatische Herkunft deutlich markiert. Sie halten einen viel zu klein geratenen Kontrabass wie eine Gitarre – ist das also alles nur ein Kinderspiel? So weit so lustig, im Gegensatz zu der Verfolgungsszene zwischen Fuchs und Gans darunter, bei der die Gans um ihr Leben fliegt, wird bei den Chinesen der Konflikt mit der Polizei, der die Pointe des Liedes ausmacht, einfach weggelassen. So lässt sich natürlich ein Lied einfach verharmlosen. Wenn’s dramatisch wird, hören wir einfach weg. (Das Bild im Buch stellt wieder drei Kinder dar, diesmal mit 3 Kontrabässen, aber weiterhin ohne Polizisten).

Da ist die liebevoll produzierte Publikation der „Kinderlieder“ vom Carus-Verlag schon ehrlicher. Im Anschnitt sehen wir drei Männerfüße und Beine, einen Kontrabass und einen Geldhut mit chinesischem (?) Bommel, der die Personen als Straßenmusikanten klassifiziert. Im Vordergrund steht ein deutscher Polizist, der die linke Faust schon verdächtig nah an den Handschellen hat. Was muss man eigentlich verbrochen haben, dass einen die Polizei abführen will, wenn man zu dritt mit einem Instrument auf der Straße steht und sich was erzählt? (Von Musikmachen ist in dem Lied nirgends die Rede!) Und was ist daran lustig außer der Tatsache, dass es eben Chinesen trifft?

Der „große Ravensburger Liederschatz“ wiederum scheint sich selbst nicht ganz sicher zu sein, was es mit dem Lied auf sich hat. Hier sind drei chinesische Kinder zu sehen, die Angst zu haben scheinen. Eines versteckt sich hinter dem riesigen Kontrabass, ein anderes fordert mit der Fingergeste die anderen zum Schweigen auf. Der Polizist steht in einigem Abstand wütend mit Händen in den Hüften vor ihnen, es handelt sich aber um ein Tier in Uniform. Die Gans, die sich vollkommen unerwartet ebenfalls vor die Kinder gestellt hat, legt nahe, dass es sich bei dem Beamten um einen Fuchs handeln soll (es könnte aber auch ein Hund oder Bär sein). Wie auch immer, gezeigt wird offensichtlich eine Konfrontationssituation, für die es keinen rechten Grund gibt, außer der Tatsache, dass die Kinder Chinesen sind. Ist das nun kein Racial Profiling oder was?

Die mit aufwendigen Bildern versehene Publikation von Ludvik Glazer-Naudé zeigt dagegen drei erwachsene chinesische Männer, erneut in folkloristischen Kostümen, die zwar über Bildung verfügen (sie singen zusammen aus einem Buch), aber offensichtlich keine Ahnung vom westlichen Kontrabass besitzen. So wie sie ihn halten und zu dritt spielen, kann da kein Wohlklang bei rauskommen. Zeigt sich hier keine weiße Überheblichkeit?

Dass das Bild in diesem Liederband nahtlos in die (chinesische?) Mauer übergeht, und dazu das Lied mit dem Schädling der tanzenden Wanze folgt – ein Zufall? Seltsam nur, dass der Ravensburger Verlag diese beiden Lieder ebenfalls nebeneinander abdruckt. Ich erinnere mich da an einen anderen Kinderreim über Chinesen, „Ching Chang Chong, Chinesen sein nicht dumm…“, in dem es auch die Diskriminierung von Chinesen im Zusammenhang mit Insekten geht.

Brauche ich da noch zu erwähnen, dass Chines*innen in Deutschland in den weiteren Strophen des Liedes mit den Vokalveränderungen wahrnehmen, dass man sich versucht über ihre Sprache lustig zu machen? Dass Asiat*innen immer wieder berichten, dass sie mit diesem Lied in Kindergarten und Schule gemobbt wurden und die Lehrer*innen das Lied nicht aus ihrem Programm nahmen, selbst wenn sich die Eltern und Betroffenenverbände beschwerten?

Immerhin, ich freue mich auch über eine Reihe von privaten Emails von Menschen, die das Interview gelesen haben, mich in der Interpretation dieses Liedes bestärken.

Geheimnisvolles Deutschland

Wenn ich mit Studierenden die Themen Orientalismus und Exotismus behandele, zeige ich ihnen gerne zum Abschluss dieses Filmwerbeplakat, zu dem ich sage:
„Das habe ich von unser Partneruniversität aus Cape Coast in Ghana mitgebracht. So machen die dort Werbung für einen Dokumentarfilm über Deutschland. – Ist also Orientalismus wirklich nur ein westliches Phänomen oder gibt es den nicht überall auf der Welt?“

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass die meisten Studierenden zwar über dieses Plakat schmunzeln, mir aber glauben, dass es so etwas in Ghana wirklich gibt. Der einzige Grund, warum ein Student mal stutzig wurde, war das Datum: 30. Februar. Dass in Afrika vergleichbar exotisierende Filme über Deutschland gezeigt werden wie bei uns über die wilde Seregenti, halten dagegen die meisten durchaus für möglich.

Das liegt natürlich daran, dass auch Deutsche zu Bildung von Stereotypen neigen und es recht leicht für mich war, entsprechende Fotos aus dem Netz zu ziehen. Die Art von Bildern sind meinen Studierenden also vertraut. Vielleicht trauen sie mir auch trotz meiner ironischen Kommentare zu bestimmten Themen hier und da so eine  Präsentation von Fake-News nicht zu?

Im Unterricht wird mir auf jeden Fall immer wieder deutlich, wie schwierig es ist, den Perspektivwechsel zu vermitteln. Die Millionen Geflüchteten weltweit machen sich ganz sicher nicht wegen solcher Fake-Filme auf den Weg nach Europa. Die erträumen sich bei uns etwas ganz anderes. Es ist durchaus schwierig – und keinesfalls lustig – zu vermitteln, warum es solche Filme über Deutschland in Afrika nicht gibt.

Masken als interkulturelle Vermittlung?

Mit Ritterrüstungen zum Spielen, Holzschwertern, Prinzessinnenkostümen und Plastikkronen kann man Kinder eine Weile beschäftigen. Das europäische Mittelalter ist zu einer festen Komponente der kindlichen Vorstellungswelt geworden, genau so wie die erträumte „Indianer“-Umgebung.

Da ist ja der Gedanke gar nicht so schlecht, sich im Zeichen von interkultureller Vermittlung mal nach Alternativen umzusehen, die etwas mehr mit der Realität zu tun haben. Tatsächlich gibt es ja in Afrika und Asien durchaus künstlerische und religiöse Traditionen, die da Anknüpfungspunkte bieten würden. So mögen sich das A.G. Smith und Josie Hazen gedacht haben, als sie Bastelvorlagen für afrikanische und japanische Masken für den Museum-Shop entwickelt haben.

Allerdings offenbart sich schon in dem Klappentext eine Bewertung der verschiedenen Traditionen. Die „authentischen“ japanischen Masken werden mit Hinweis auf die lange Theatergeschichte des Landes hochgelobt:

„Masks have played an important role in Japanese den, theater, and ritual for hundreds of years.“

Die „afrikanischen“ Masken dagegen werden exotisiert und als Traditionen von „Stämmen“ degradiert:

„With this fascinating collection, you can create six exotic African masks based on actual tribal artifacts.“   

Ein weißer Blick, der verschiedene Kulturen hierarchisch anordnet, ist aber nur das eine Problem dieser Bastelidee. Was man nämlich mit Schere, Kleber und Tesafilm sich so lustig zusammenbauen kann, stammt im Falle der sogenannten „afrikanischen“ Masken teilweise aus religiösen Kontexten. Das geben die Autoren sogar in ihren zwei Einleitungssätzen zu jeder Maske zu, wie etwa bei der „Dan Ceremonial Mask“ von der nordwestlichen Elfenbeinküste: „They are famous for their art. Their masks, which often represent ancient ancestors, are known for their classic simplicity and their faithfulness to humans features.“ Die „Bobo Butterfly Masks“ aus Burkina Faso „are used primarily in rain and fertility rites“. 

Das kann man jetzt also alles ganz einfach „cut and make“ übernehmen. Gedanken darum, was die entsprechenden Gesellschaften eigentlich darüber denken, dass ihre religiösen Masken nun aus Pappe und Kleber in westlichen Kinderzimmern herumgeistern, scheint sich keiner zu machen.

Ob sich so afrikanische oder japanische Kulturen im Westen so sensibel vermitteln lassen, wage ich zu bezweifeln. Fördert das nicht wie bei den Rittern vielmehr, fremde Kulturen als Phantasie- und Traumwelten wahrzunehmen?

Die Zauberflöte – eine Kinderoper?

Prinz und Prinzessin, Königin und König, und dazu noch ein leicht verrückter verkleideter Vogelfänger, das alles macht Mozarts Zauberflöte bevorzugt zu einer Kinderoper. Selbst wenn sich das ganze Prüfungstrara und die Weisheitslehre nur bedingt an Kleinkinder vermitteln lassen. Eignet sich die Oper aber heute wirklich noch für meine Kinder?

Ich greife mal nach den beiden handelsüblichen Kinderbüchern, die eine abgespeckte Version der Oper in Märchenform bereitstellen. Wie gehen die denn mit der stereotypen Rolle des „Mohren“ Monostatos um, einem afrikanischen Sklaven am Herrscherhof von Sarastro, der so gar nicht gut wegkommt in der Geschichte. Meine Kinder wissen schließlich, dass ich beruflich viel in Afrika unterwegs bin.

Christiane Lesch und Jakob Streit (Verlag Freies Geistesleben, 1989) folgen dem Libretto der Oper und führen Monostatos mit den Worten ein „Doch der Aufseher der Sklaven, der Mohr Monostatos, war ein ekliger Kerl.“ Er will Pamina fesseln und sie „in seine Gewalt bekommen“. Gut, es wird nicht verallgemeinert auf Charaktereigenschaften aller Afrikaner, aber da Monostatos der einzige Schwarze in dem Stück ist, trägt das schon zu einer Stereotypisierung bei. In dem dazugehörigen Bild werden zudem alle visuellen Stereotype, mit denen Schwarze seit der Renaissance versehen wurden, reproduziert. 

Als sich Monostatos und Papageno wenig später gegenüber stehen, stößt der Vogelmensch nur „einen Schrei“ aus, während der Schwarze „mit Gebrüll“ verschwindet. Als Papageno bei einer erneuten Attacke sein Glockenspiel erklingen lässt, müssen Monostatos und seine Häscher tanzen, „ob sie wollen oder nicht“. Als Tamino später Pamina bei ihrem ersten Treffen umarmt, springt er „wie ein böser Wachhund hinter ihm her“. Möchte ich, dass meine Kinder so einen solchen animalischen Eindruck von Menschen aus Afrika bekommen? 

Marco Simsa und Doris Eisenburger (Annette Betz, 2005) drücken sich im Text vorsichtiger aus und versuchen die Verbindung von Hautfarbe und Charaktereigenschaft zu vermeiden.  Da ist nur von dem „strengen Wärter Monostatos“ die Rede, der „seine Aufgabe allzu ernst“ nimmt. Er „erschrickt“ genauso wie Papageno „erschrickt“, als die beiden sich gegenüber stehen. Der “grimmige Monostatos“ wird durch Papagenos Glockenspiel „harmlos und richtig zahm“. Er geht bei der Umarmung von Tamino und Pamina auch nur „dazwischen“, weil so eine Intimität vor den Augen Sarastros „zu weit geht“. Schön gedacht – nur sprechen die Bilder dazu mit den stereotypen dicken Lippen, der geradezu karikaturhaften Körperfigur und den orientalischen Klamotten eine andere Sprache. Da sehen wir wieder den „Mohr“, wie ihn auch die Schokoladenfirma Sarotti darstellt.

Nicht zu vergessen übrigens die Begleit-CD, in denen wie in allen anderen Aufnahmen die Originaltexte zu hören sind, wie etwa in der Arie des Monostatos: „weil ein Schwarzer hässlich ist“. 

Vor ein paar Wochen konnte ich übrigens in Chemnitz erleben, dass das alles nicht sein muss. In der dortigen Inszenierung der Zauberflöte wurden nicht nur die Dialoge, sondern auch die Gesangstexte von allen rassistischen Aussagen bereinigt. Aus „weil ein Schwarzer hässlich ist“ wird „weil ein Sklave hässlich ist“ und aus „Weiß, ist schön, ich muss sie küssen“ wird „sie ist schön, ich muss sie küssen“. So wird das Übergriffige, das die Rolle des Monostatos nun mal verkörpert, beibehalten, aber ohne Bezug zu einer Hautfarbe. Vielleicht war das auch eine Regieentscheidung, weil der Tamino sehr überzeugend von einem Schwarzen Südafrikaner gesungen wurde? 

Aber bis meine Kinder groß genug sind, dass ich sie in eine abendfüllende Oper mitnehmen kann, wird es noch etwas dauern. Was mache ich bis dahin? 

Spaß am afrikanischen Trommeln?

„Afrikanischer Tanz und Trommeln – das ist für mich der Ausdruck von Lebenslust und pulsierender Lebensenergie“, meint die Trommel-Lehrerin Claudia Gärtner. „Frauenpower auf afrikanischen Trommeln“, versprechen die Matambas. Und „Frauenkultur, die verbindet“ mit Hilfe afrikanischer Trommelrhythmen preist Ellen Meyer auf ihrer Website an. Man könnte meinen, das afrikanische Trommeln ist gar kein Genre für einen Mann wie mich. Besonders nicht, wenn ich mir diese Werbeanzeige für einen „Happy Trommel Workshop“ betrachte. Da rückt eine der drei weiblichen Schülerinnen schon in den Fokus, während der schwarze Lehrer nur unscharf und abgeschnitten am rechten Bildrand posiert.

Was ist da nur geschehen? Als Andreas Meyer 1997 seinen grundlegenden Katalog zu „Afrikanische Trommeln – West- und Zentralafrika“ herausgab, verwies er nur am Rande bei einigen wenigen Trommeln darauf, dass diese ausnahmsweise auch von Frauen gespielt werden dürfen.

Es ist das eine, dass die Benutzer des Instruments beim Kulturtransfer von Afrika nach Europa mal so sang- und klanglos das Geschlecht wechseln. Vielleicht sind afrikanische Trommeln das Schlagwerk, das Frauen in diesen Breitengraden ohne Widerspruch spielen dürfen. Wenn sie schon kaum hinter dem Drumset von Bands oder als Paukistinnen im Orchester zu sehen sind. 

Das andere ist, dass all die deutschen Angebote zu Trommel-Workshops von „mitreißenden Trommelrhythmen“, dessen „Klang dem Herzschlag der Mutter gleicht“, oder von „Musik und ihrem rhythmischen Herzschlag“ sprechen. Viele Lehrerinnen und Lehrer verweisen auf ihre „Rhythmusreisen in Mali“ und verweisen deutlich auf ihre afrikanischen Lehrer , damit sie auch die Autorität besitzen, das Publikum „in die Welt Westafrikas eintauchen“ zu lassen. 

Aber ob genau das stattfinden wird, ist sehr zu bezweifeln. Trommeln in Westafrika – mal abgesehen von der Tatsache, dass in Deutschland eigentlich nur ein bestimmter Stil aus Mali angeboten wird – steht immer funktional in Verbindung mit sozialen Ereignissen und findet nie zum Selbstzweck statt, um mal super Spaß an mitreißenden Rhythmen zu haben. Darüber hinaus geht es hier dabei eigentlich nicht um das Spiel von Rhythmen, sondern darum, die Trommeln sprechen zu lassen. Da die meisten westafrikanischen Sprachen Tonsprachen sind, besitzen Trommelschläge immer auch eine sprachliche Bedeutung. Aber vom Lernen westafrikanischer Sprachen ist in keiner der Anzeigen die Rede. 

Wer weiß, was die hochgelobten afrikanischen Lehrer ihre Schülerinnen trommeln lassen? Vielleicht ist der Spaß auf deren Seite noch viel größer? 

Deutsche AfrikaBilder

Bei diesem Wetter den Sommer planen! Ich bin dabei und frage mich, welche der beliebten deutschen Afrika-Festivals ich dieses Jahr besuchen soll. Solche Veranstaltungen sind in den letzten Jahren ja immer beliebter geworden und sollten mich doch eigentlich ansprechen. Werfe ich mal einen Blick auf die Werbeplakate.

Schon oberflächlich erkenne ich: erdige Naturfarben sind eindeutig das Markenzeichen. Der Kontinent Afrika in seiner vollen Größe (allerdings ohne Madagaskar) muss auch meistens drauf sein. Ansonsten Tiere, Akazien, Musik, Tanz, Trommeln, Masken und Kinderprogramm. So einfach funktioniert das in der Werbung, ein kollektives Bild von einem ganzen Kontinent zu erzeugen. Wie zu sehen ist, sind an diesem Afrikabild nicht nur deutsche Organisatoren als Geldgeber beteiligt, sondern auch deutsch-afrikanische Vereine. Es geht eben für alle darum, mit einem stereotypen Bild Geld zu machen. 

Selbst Festivals mit einem geringeren Werbeetat wollen nicht auf die Verbindung von Afrika mit handgemachter traditioneller Musik und Tänzerinnen verzichten. Sehr viel mehr Phantasie und Neugierde wird von dem Publikum nicht erwartet.

Da ist es schon eine Besonderheit, wenn auch mal Werbung in Grüntönen für aktuelle afrikanische Musik vom Kontinent und der Diaspora gemacht wird. Dabei wird sogar eine Verbindung zwischen Deutschland und Afrika durch die Collage von Zechturm in der Ruhr mit Schattenakazie erzeugt. Und gerade zu gewagter Humor bietet ein verkleideter Schwarzer vor einem kleinen deutschen Gartenzwerg. Kann es auf dieser Ebene zu einem Austausch der Kulturen kommen?  

Das sind alles sehr interessante deutsche Afrikas – aber mit den Erfahrungen, die ich in verschiedenen afrikanischen Ländern gemacht habe, hat das erstaunlicherweise alles wenig zu tun.

Afrikanische Natur versus asiatische Kultur

Im Januar sollen wir alle unsere Jahresurlaube buchen. Die Reiseanbieter reduzieren für uns dabei vorab gerne mal die sehr komplexe und unübersichtliche Welt. Da seit kolonialer Zeit Europa den afrikanischen Kontinent gerne naturalisiert, sollen wir diesem Bild weiterhin folgen und in Uganda allein unter Gorillas leben. In der Gegend leben neben „Menschenaffen“ und „Baumlöwen“ auch die „Batwa, ein Pygmäenstamm, der nach der Erschaffung der Bwindi-Nationalparks umgesiedelt wurde“. Ist das wirklich alles, was man zu diesem afrikanischen Staat mit 35 Millionen Einwohnern mit 60 Volksgruppen sagen kann?

Nun gut, wer nicht am dritten Tag zwischen Schimpansen und Nationalpark die „Traditionen und Kultur der Batwa“ kennen lernen will, kann ja nach Asien reisen. Dort gibt es nicht nur drei „Königsstädte“ zu besuchen, sondern auch „sieben Unesco-Weltkulturerbestätten“ in einem einzigen Tal. Auf dem „Climate-Trek“ – zu dem man allerdigs nicht C02 neutral anreisen kann – gibt es natürlich auch Natur zu sehen, aber eben auch viel goldene Kulturgüter und „buddhistische Tschörten, Stupas und Wassermühlen“ (Sind nicht eher Gebetsmühlen gemeint???). Mit dem Besuch „ökologische Lodges“ sichert man das Leben einiger der 28 Millionen Einwohner „langfristig“. Also Unterstützung der asiatischen Entwicklung anstelle von Beobachten der Überlebenden von Pygmäenstämmen im afrikanischen Nationalpark. 

Asien, so lernen wir hier im direkten Vergleich auf einer Seite, besitzt Natur und Kultur und verdient sogar unsere Hilfe. Afrika dagegen ist ein Urwald, den man nur aus zoologischem Interesse besuchen kann. Solche vereinfachenden Zuweisungen nimmt allerdings nicht nur ZEIT Reisen vor, das Konzept kennen wir auch aus Disney Kinderfilmen über andere Kontinente: da singen Tiere im afrikanischen Lion King, wohingegen „natürlich“ in China die starke Mulan um ihr Recht als Frau kämpft. 

Vielleicht sollte man sich nach dem Preis entscheiden? Die Reise ins weit entfernte Nepal ist drei Tage länger und kostet weniger als die Hälfte der afrikanischen Expedition. Aber vielleicht werden die „Haremsführern der Schimpansenfamilie“ ja auch besser unterstützt als die Lodgebesitzer in Nepal, ohne dass das erwähnt wird.

Tina Turner hinterm Tresen?

Alle Bäckereien suchen heutzutage Verkäuferinnen. Überall sehe ich Werbung dafür. Ich bin wirklich überrascht. Niemand nimmt da jemand eine Arbeitsstelle weg. Würden alle Arbeitssuchenden so einen Job annehmen, hätten wir wahrscheinlich Vollbeschäftigung in Deutschland und alle rechtzeitig ihre Lieblingsbrötchen auf dem Frühstückstisch.

Aber anscheinend ist die Arbeit so unattraktiv oder so schlecht bezahlt, dass die Werbung für Verkaufsfachkräfte immer aggressiver wird. Wie hier bei der Bäckerei, die sich direkt neben unser Musikhochschule mit recht vielen internationalen Studierenden befindet.

Ich versuche, den Werbespruch und die Bildaussage mal zu begreifen. Die Betreiber suchen also „Rockstars im Verkauf“ und zeigen dazu eine lächelnde Frau mit dunkler Hautfarbe und schwarzen Locken, die mit verschränkten Armen abwartend hinter dem Tresen steht. Im Hintergrund sortiert ein weißer Mann mit kurzen blond-braunen Haaren recht geschäftig längliche Brote in ein Regal ein.

Verstehe ich jetzt „Rockstars“ mal im üblichen Sinne, dann reden wir von einer populären Sängerin. Warum muss die dann Schwarz sein? Eine Art Tina Turner Double hinter den Bäckertresen? Wozu? Mit „simply the best“ die Brötchen oder die Brötchenkäufer besingen, während der Mann hinter ihr routiniert seine Brot-Stange ins passende Regal schiebt?

Oder wollte die Werbeagentur sich einen Scherz erlauben und spielte mit dem deutsch-englischen Wort „Rock“? Schade, dass wir nur den oberen Teil der Schürze der Frau sehen und nicht den Rock, den sie darunter tragen könnte. Dann versprechen sie also Frauen einen Star-Status, während sie belegte Baguettes und Kaffee To-go abkassiert? Bin mir nicht so sicher, ob diese Rechnung aufgeht. Außerdem erklärt mir das die „m/w/d“ Ansprache nicht. Sollen „m“ und „d“ auch im Rock im Laden stehen? Da hätte ich gerne mehr Informationen dazu.

Oder wollen Betreiber der Bäckereikette vielleicht die internationalen Studierenden und People of Color unseres Popmusik-Studienganges ansprechen, nach dem Motto: „Hört mal, ist ja schön, dass ihr hier studiert, aber bildet euch nicht zu viel ein. Als ethnisch markierte Personen werdet ihr in Deutschland doch irgendwann hinter dem Tresen landen. Aber ist ja nicht so schlimm, die Arbeitsplätze sind ja „sicher und langfristig“.

Wäre mal spannend zu erfahren, wie die Werbung von Göing zwischen 1920 und 1945 aussah, wenn die auf ihre Traditionen so stolz sind. Das Tragische ist, dass die Bäckerei wirklich ganz ausgezeichnete Backwaren produziert. So dass ich sie nicht mal guten Gewissens boykottieren kann.

Freude schöner Fair-Trade Handel!

Fair Trade ist ja eine schöne Sache. Da erhalten die Produzenten von bestimmten Produkten, die im Globalen Süden leben, einen gerechten Preis für ihre Arbeit von Käufern aus westlichen Industriestaaten. Da fühlen wir uns als Käufer gut, weil wir uns endlich ehrlich eingestehen, dass die meisten Produkte in unseren Kaufhäusern unter ausbeuterischen Umständen entstehen. Zugleich sind wir trotz billiger Vergleichsangebote bereit, mehr Geld auszugeben, womit wir unser eigenes Wirtschaftsmodell ein wenig auf den Kopf stellen. Wie verrückt! Die Welt wird gerechter und die Lebensumstände gleicher. Da können wir schon mal vor Freude in die Luft springen und tanzen! 


Aber eigentlich geht es dabei doch nicht um uns, sondern um die Menschen, die nun endlich einen gerechten Lohn für ihre Arbeit erhalten. Etwas, was bei uns mehr oder weniger selbstverständlich und durch Politik und Gewerkschaften einigermaßen abgesichert ist. Tanzen und Springen sollten also die Produzenten! 

Hier bei der Fair Trade Marke von Cocobaträllert aber nicht der Mann mit dem roten Hut im Sonnenschein sein Ayyayaya coco jambo, sondern die schwarz-weißen Frauen in winterfesten Klamotten. Maximaler Kontrast zwischen den Personen, die sich doch durch den gerechten Handel eigentlich näher kommen sollten. Verstehe ich nicht.

Aber damit man mich nicht falsch versteht: an dem Inhalt des Produktes habe ich nichts auszusetzen, an der fairen Produktionsweise weiß Gott auch nichts. Aber solange das Marketing selbst in diesem kleinen Segment von Fair Trade Produkten auf diese recht stereotype Weise abläuft, wird sich an dem Machtgefälle zwischen den Gesellschaften auf der Welt wenig ändern.