Tschinglibunglitangliwang ist kein Chinesisch!

Während meine 4jähige Tochter in der Kinderbuchecke unser Stadtteilbibliothek kramt, schaue ich mal, was die öffentlichen Bibliotheken in Berlin für Musikliteratur für Kinder angemessen halten. Da steht gleich in zwei Ausgaben „Drei Chinesen mit ’nem Kontrabass. Die bekanntesten Lieder und Verse zum Unsinnmachen, Wandern, Spielen und Singen“, herausgegeben 1991 in München. 

Bereits auf Seite 14 werde ich erschlagen von dem Lied „Heiss brennt die Äquatorsonne“, in dem Herr und Frau Ovambo „Kalitsch-ka-kau-ka tschulima“ und „wumba, wumba“ singen, bevor sie ihren Mann erschlägt. Dabei wird sich nicht nur über den Klang afrikanischer Sprachen lustig gemacht, sondern auch die Bildwelt dazu strotzt nur von stereotypen Darstellungen.

Eine Seite weiter ist das Lied „Ein Mann fuhr ins Chinesenland“ abgedruckt, in dem mal ein der Kapitän einer Dschunke „Yeng Tschinglibunglitangliwang“ genannt wird, mal ein Ort in China, mal ein Gasthof, mal ein Essen und mal ein Stoffvorhang. Das Ganze gipfelt in:

„Und die Moral von der Geschicht‘
Fahr mit dem Schiff nach China nicht,
und folge niemals innrem Drang 
nach Tschinglibunglitangliwang“

Das ist nicht das einzige anti-chinesische Lied in dem Buch. Es geht weiter mit „In Chinesien, in Chinesien/ lebte einst ein holdes Wesien“. Diese Frau wird von ihrem Mann, einem „Großmogul von Tiabet“, geschlagen, der zudem ihre gemeinsamen Kinder isst, bis sie ihn schließlich umbringt: „Hier ist endlich die Morale,/ Werd nie ein Kannibale“

Aber die Herausgeber lieben es nicht nur, „Unsinn“ über Afrikaner und Chinesen „zu machen“, sondern es bekommen auch noch die Inuit was ab. Das Lied „Es lebt‘ in dulci jubilo“ schildert die Liebesgeschichte zwischen einem „Eskimo“ und einer „Eskimaid“, die er mal „Eskimiez“ mal „Eskimaus“ nennt, bis der „Eskimohr“ kommt und aus Eifersucht beide umbringt. Darauf erscheint der „Eskimops“ und zerfleischt wiederum diesen. Ach ja, und ein „Indianerhäuptling“ singt natürlich auch noch „zigge, zigge, zumba, zumba, zum!“

Soll ich diese Lieder ernsthaft mit meiner Tochter zusammen singen? Was würden die Kinder mit chinesischer Mutter und togolesischen Vater in ihrer Kita sagen, wenn meine Tochter dann diese Lieder tagsüber vor sich hin trällern würde beim „Spielen und Singen“?

Interessanterweise finden sich in dieser Publikation auch all die Lieder wieder, die immer noch in fast jedem Kinderliederbuch stehen und als angeblich harmlose Kinderlieder bezeichnet werden, wie „Lustig ist das Zigeunerleben, faria faria ho!“, „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“ oder „Die Affen rasen durch den Wald“. Bei letzterem zeigt sich durch die Abbildung nur allzu deutlich, dass es sich bei den Affen in T-Shirt und Hosen durchaus nicht nur um Tiere, sondern auch um eine bestimmte Sorte von Menschen handeln könnte.

Das ist also das rassistische Umfeld, aus dem diese Lieder entstammen, die sich erstaunlich gut in der Kinderpädagogik halten. 

Als ich noch jung war, konnte man an den Stempeln am Ende des Buches immer sehen, wie viele Leute das lesen und wann es das letzte Mal ausgeliehen wurde. Das würde mich be diesem Buch wirklich interessieren. Denn ganz nebenbei – das ist das einzige Kinderliederbuch, das dort im Regal steht und Menschen außerhalb des deutschen Kulturkreises thematisiert. Es gibt hier keine Alternative!

Wenn jedoch ausschließlich mit diesen Liedern Kindern fremde Kulturen vermittelt werden, darf man sich wirklich nicht wundern, wenn bestimmte Politiker auf einmal sich dazu berufen fühlen, die Segnungen des europäischen Kolonialismus zu preisen. 

7 Gedanken zu „Tschinglibunglitangliwang ist kein Chinesisch!

  1. Sehr treffend beschrieben. Es gibt viele Lieder, die den Zeitgeist dokumentieren, aber nicht mehr unkommentiert gelehrt werden sollten. Ich stelle das auch oft fest.

  2. Neben ca. 98% „normaler“ Lieder, hatten wir in unserem schweizerischen Singbuch auch solche „kolonialistische“ Lieder
    wobei wir Schweizer, in Ermangelung von Kolonien,
    (im Gegensatz zu unserem nördlichen Nachbarn)
    diese Aspekte nationaler Tätigkeiten nicht so insbrünstig
    kommentieren können…

  3. Gestern (21.01.2021) saß ich mit jungen „Genossen“ zusammen in einer virtuellen Kneipe (Coronapandemie), und wir unterhielten uns über die inneren Motive, die uns bewegt haben, politisch aktiv zu werden – und eben kritisch-links und nicht rechts.
    Mir geht genau dieses rassistische Ovambolied aus dem Kindergarten nicht aus dem Kopf, das ich anders im Kopf habe als abgedruckt.
    Ich glaube, dass die Rassismen, die uns als Kindern begegnen, nur dann ihre gruselige (tödliche) Wirkung entfalten, wenn wir als Kinder nicht mit unseren Eltern (oder anderen uns Kindern wichtigen Personen) über Rassismus reden konnten bzw. können. Bei mir zuhause war Rassimus (in seiner ethnozentrischen, paternalistischen Variante) Thema …
    Ich habe mit 14 den ersten „Dritte-Welt-Laden“ in Essen (NRW) mit-gegründet, bin auch heute mit fast 63 noch und wieder politisch aktiv.
    Also – über Rassismen und Vorurteile reden und als solche bewerten und immer wieder im Dialog mit den Kids bleiben!

  4. Auch ich bin mit diesen Kinderliedern aufgewachsen. Aufgrund meiner Erziehung durch meine sehr liberalen Eltern und Großeltern, bin ich in keiner Weise „rassistisch“ geprägt worden. Im Freundeskreis meiner Eltern war es stets „bunt“ wie man heute sagen würde.
    Rassistische Einstellungen werden eher durch Ihre Darstellung von Realitäten Ihrer Sichtweise genährt!

  5. Hochinteressant! Ja, da sind in der Tat einige dabei, die vor Stereotypen strotzen und die man, wenn überhaupt, nicht ohne Kommentare mit Kindern singen sollte. Grad letzteres ist aber wiederum schwierig, Singen soll ja eigentlich Spaß machen und nicht unbedingt in schwierige gesellschaftliche Diskussionen münden.
    Ich kann mich erinnern, dass ich den Text zu „Heiß brennt die Äquatorsonne“, den ich als Kind in einem (Studenten-) Liederbuch entdeckt hatte, komisch fand, der beschriebene Kannibalismus hat mich dann auch schnell abgeschreckt. Persönlich hab‘ ich diese Art von Liedern damals aber nie als etwas potentiell Reelles gesehen, nach dem man sich richten könnte, sondern immer als Teil einer (teils befremdlichen) Geschichte – wenn’s zu abgedreht war, hab‘ ich mir was anderes angesehen. Das geht sicher vielen so. Da finde ich die Illustrationen im gezeigten Buch schon schwieriger zu begründen, da sich der Zeichner auch auf die Geschichte einlassen muss. Beim Lied über den Ovambo (sicher auch bei anderen) hätte mich das als Illustrator in arge Gewissenskonflikte gestürzt – auch wenn es der Brotberuf ist.
    Dass die Affen Kleider tragen, würde ich aber wiederum als Versuch werten, bei Kindern Humor zu erzeugen: Viele Kinder (in einem gewissen Alter) lachen über etwas, was nicht alltäglich ist, z. B. sprechende und/oder gekleidete Tiere. Hätte man besser lösen können und kann vor allem im Hinblick auf andere Illustrationen im Buch ja auch hellhörig machen (das Wort „missglückt“ ist an dieser Stelle wohl nicht verkehrt), aber darin die Möglichkeit einer gezielte Darstellung „eine[r] bestimmte[n] Sorte von Menschen“ (wie Sie schreiben), ginge nach meinem Dafürhalten dann wohl doch etwas weit.

  6. Immerhin wird z. B. das rassistische Lied über „10 kleine N****lein“, in dem in jeder Strophe jeweils ein Schwarzer Mensch (für diese wird das rassistische N-Wort verwendet) stirbt oder verschwindet, schon seit vielen Jahren nicht mehr in deutschen Kitas oder Schulen gesungen.
    Das Lied basiert übrigens auf einem rassistischen Lied aus den USA, in der Ursprungsversion wurden amerikanische Ureinwohner (als „Indians“ bezeichnet) verspottet, auch davon gibt es deutsche Versionen mit „10 kleine Indianer“); ab 1869 wurden in den USA damit Schwarze Menschen verhöhnt („10 Little N*****s“) und in Blackface-Minstrel-Shows verwendet.

    Und im Buch „Pippi Langstrumpf“ ist Pippis weißer Vater schon ziemlich lange ein „Südseekönig“ und kein „N****-König“ mehr, ohne dass das jemanden stört.

    Geschockt war ich, als in den 1990ern und 2000ern weiße Kinder aus Westdeutschland zu Besuch waren, welche immer noch rassistische Lieder gesungen haben:
    In einem dieser Lieder hieß es z. B.: „Jeder Kongo-N**** hat ‘nen Hosenträger, aber unsereiner, der hat nichts! Jeder Muli-Treiber hat ‘nen Kugelschreiber, aber unsereiner, der hat nichts! … Jeder Menschenfresser hat ein Taschenmesser, … Jeder Inder der hat 20 Kinder, … jeder Eskimo hat ein Luxusklo …“ usw.,
    Das ist ja fast AfD-Rhetorik über die angeblich „bösen“ Migrant*innen, die alle reich wären, während die weißen Deutschen arm wären, dazu noch das dumme rassistische Klischee, dass die Inder sich wie die Karnickel vermehren würden und alle 20 Kinder hätten.
    Andere dieser schlimmen Lieder waren z. B. eines, in dem sie sangen: „Jagt alle Zigeuner weg, denn ich hasse diesen Dreck!“ (wahrscheinlich hatten sie das von einer Schulhof-CD der NPD!);
    „N**** auf Kaffeebohnen, Chinesen auf Zitronen …“ wo sich über die schwarze und die angeblich „gelbe“ Hautfarbe lustig gemacht wurde;
    und sie hatten auch Lieder über „Indianer“, die Boot fahren und ertrinken, „Es war ein kleiner Eskimo“, der dann vom Schlitten fällt und stirbt usw.
    Da fragt man sich, ob sie solche rassistischen Lieder aus der Schule haben oder was sie für ein Elternhaus hatten.

    Sehr traurig ist, dass die Beteiligung von Deutschen am Handel mit Versklavten und die Verbrechen in den deutschen Kolonien wie z. B. die Genozide an den Herero und Nama oder auch der Umgang mit Schwarzen Menschen im 3. Reich leider NICHT in den Lehrplänen deutscher Schulen vorkommen.
    Die Kolonialgeschichte deutscher Länder vor 1871 und des Deutschen Kaiserreichs kommen in mehreren deutschen Bundesländern im Unterricht gar nicht vor. In anderen deutschen Bundesländern werden diese Themen nur viel zu kurz am Rande behandelt.
    Wie sollen Kinder und Jugendliche denn zum Thema Rassismus sensibilisiert werden, wenn dieser Teil der deutschen Geschichte nicht behandelt wird?

    Und ein weißer Schüler, der im christlichen Religionsunterricht war, erklärte, dass laut Bibel Noahs Sohn Ham etwas Böses getan hatte, deshalb mussten er und seine Nachkommen, zu denen laut Bibel z. B. Schwarze Afrikaner*innen zählen, fortan als Sklav*innen leben. Die Versklavung wurde also quasi mit der Bibel gerechtfertigt.

    Die deutschen Kultusministerien müssen also dringend mal die Lehrpläne überarbeiten!

    Ansonsten kann ich zum Thema (Alltags-)Rassismus, Geschichte usw. das Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters sehr empfehlen. Ansonsten kann ich zum Thema (Alltags-)Rassismus, Kolonialgeschichte usw. das Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters sehr empfehlen.

  7. In vielen deutschen Bibliotheken stehen auch noch alte Ausgaben von „Pippi Langstrumpf“, wo Pippis weißer Vater als „N****könig“ über dunkelhäutige Menschen herrscht. Außerdem wird in den alten Ausgaben behauptet, dass „alle N**** lügen“ würden.
    In den DDR-Übersetzungen war Pippis Vater schon immer „König der Takatukaner“, das N-Wort kommt hier nicht vor.
    Aber auch wenn man in „Pippi Langstrumpf“ die N-Wörter streicht, bleibt die Grunderzählung über Pippis Vater doch ziemlich kolonialistisch: Pippis weißer Vater segelt als Kapitän zu einem tropischen Land und sagt dort quasi: „Ich bin jetzt euer König!“.
    Was viele nicht wissen: Schweden hat sich früher am Sklavenhandel beteiligt, erlaubte Sklaverei und hatte auch ein paar Kolonien.

    In deutschen Bibliotheken finden sich auch noch rassistische Bücher von „Tim und Struppi“, wo der weiße Tim in der damaligen belgischen Kolonie Kongo ist, wo die Schwarzen Menschen als Kannibalen dargestellt werden, die ähnlich wie kleine dumme Kinder nur ein paar einfache, primitive Worte sprechen können, die sie ständig wiederholen. Außerdem tragen sie primitive Kleidung wie Steinzeitmenschen, was in der Realität zu dieser Zeit nicht auf fast alle afrikanischen Völker zutraf.

    In deutschen Bibliotheken finden sich auch Bücher von Rudyard Kipling, dem Autor von „Das Dschungelbuch“, der auch zutiefst rassistische Texte geschrieben hat:
    Kipling war Imperialist, er begrüßte den Kolonialismus und die Rassentrennung. Kipling bezeichnet nicht-weiße Menschen als „Wilde“ und „halb Teufel und halb Kind“, und er fordert die weißen Europäer auf, ihnen das „wilde Heidentum“ auszutreiben und ihnen das europäisches Christentum und europäische „Hochkultur“ und Zivilisation nahezubringen.

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