Archiv für den Monat: April 2019

Tschinglibunglitangliwang ist kein Chinesisch!

Während meine 4jähige Tochter in der Kinderbuchecke unser Stadtteilbibliothek kramt, schaue ich mal, was die öffentlichen Bibliotheken in Berlin für Musikliteratur für Kinder angemessen halten. Da steht gleich in zwei Ausgaben „Drei Chinesen mit ’nem Kontrabass. Die bekanntesten Lieder und Verse zum Unsinnmachen, Wandern, Spielen und Singen“, herausgegeben 1991 in München. 

Bereits auf Seite 14 werde ich erschlagen von dem Lied „Heiss brennt die Äquatorsonne“, in dem Herr und Frau Ovambo „Kalitsch-ka-kau-ka tschulima“ und „wumba, wumba“ singen, bevor sie ihren Mann erschlägt. Dabei wird sich nicht nur über den Klang afrikanischer Sprachen lustig gemacht, sondern auch die Bildwelt dazu strotzt nur von stereotypen Darstellungen.

Eine Seite weiter ist das Lied „Ein Mann fuhr ins Chinesenland“ abgedruckt, in dem mal ein der Kapitän einer Dschunke „Yeng Tschinglibunglitangliwang“ genannt wird, mal ein Ort in China, mal ein Gasthof, mal ein Essen und mal ein Stoffvorhang. Das Ganze gipfelt in:

„Und die Moral von der Geschicht‘
Fahr mit dem Schiff nach China nicht,
und folge niemals innrem Drang 
nach Tschinglibunglitangliwang“

Das ist nicht das einzige anti-chinesische Lied in dem Buch. Es geht weiter mit „In Chinesien, in Chinesien/ lebte einst ein holdes Wesien“. Diese Frau wird von ihrem Mann, einem „Großmogul von Tiabet“, geschlagen, der zudem ihre gemeinsamen Kinder isst, bis sie ihn schließlich umbringt: „Hier ist endlich die Morale,/ Werd nie ein Kannibale“

Aber die Herausgeber lieben es nicht nur, „Unsinn“ über Afrikaner und Chinesen „zu machen“, sondern es bekommen auch noch die Inuit was ab. Das Lied „Es lebt‘ in dulci jubilo“ schildert die Liebesgeschichte zwischen einem „Eskimo“ und einer „Eskimaid“, die er mal „Eskimiez“ mal „Eskimaus“ nennt, bis der „Eskimohr“ kommt und aus Eifersucht beide umbringt. Darauf erscheint der „Eskimops“ und zerfleischt wiederum diesen. Ach ja, und ein „Indianerhäuptling“ singt natürlich auch noch „zigge, zigge, zumba, zumba, zum!“

Soll ich diese Lieder ernsthaft mit meiner Tochter zusammen singen? Was würden die Kinder mit chinesischer Mutter und togolesischen Vater in ihrer Kita sagen, wenn meine Tochter dann diese Lieder tagsüber vor sich hin trällern würde beim „Spielen und Singen“?

Interessanterweise finden sich in dieser Publikation auch all die Lieder wieder, die immer noch in fast jedem Kinderliederbuch stehen und als angeblich harmlose Kinderlieder bezeichnet werden, wie „Lustig ist das Zigeunerleben, faria faria ho!“, „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“ oder „Die Affen rasen durch den Wald“. Bei letzterem zeigt sich durch die Abbildung nur allzu deutlich, dass es sich bei den Affen in T-Shirt und Hosen durchaus nicht nur um Tiere, sondern auch um eine bestimmte Sorte von Menschen handeln könnte.

Das ist also das rassistische Umfeld, aus dem diese Lieder entstammen, die sich erstaunlich gut in der Kinderpädagogik halten. 

Als ich noch jung war, konnte man an den Stempeln am Ende des Buches immer sehen, wie viele Leute das lesen und wann es das letzte Mal ausgeliehen wurde. Das würde mich be diesem Buch wirklich interessieren. Denn ganz nebenbei – das ist das einzige Kinderliederbuch, das dort im Regal steht und Menschen außerhalb des deutschen Kulturkreises thematisiert. Es gibt hier keine Alternative!

Wenn jedoch ausschließlich mit diesen Liedern Kindern fremde Kulturen vermittelt werden, darf man sich wirklich nicht wundern, wenn bestimmte Politiker auf einmal sich dazu berufen fühlen, die Segnungen des europäischen Kolonialismus zu preisen. 

Musikalische Unternehmensberatung?

Die Boston Consulting Group ist kein Klavierbauer, wie man nach diesem Bild hier denken könnte, sondern eine internationale Unternehmungsberatung. Mit Musik soll hier vielmehr die Werbetrommel für neues Fachpersonal gerührt werden. Der Flügel wurde ausgewählt, um auch wirklich intellektuelles Publikum anzusprechen. Dazu noch einen Denkerkopf, ein ausgestopftes Tier und Philosophie im Reclamheftchen-Format.

Da hat sich schon eine absichtlich diverse Gruppe um den Flügel eingefunden, acht Leute, jeweils vier und vier ausgegendert, alle Altersgruppen, Haarfarben und unterschiedliche Hautfarben vorhanden. Und alle wollen „auf globaler Ebene etwas bewegen“, ist das nicht herrlich?

Naja, wenn man genau hinschaut bemerkt man, dass der weiße alte Mann mit Halbglatze deutlich das Ganze an den Tasten anführt. Ihm gegenüber an der Position, an der bei Chansonaufführungen die Sängerin auf den Flügel sitzen würde, liegt der andere weiße Mann mit Brille auf dem Kasten und betrachtet analytisch das Geschehen. Die Frauen dagegen dürfen alle nur zugucken und lächeln. Der Mann mit den schwarzen Locken dreht sich sogar halb aus dem Geschehen weg und nimmt mit keinem Augenkontakt auf. Nur der Mann mit dem verrückt bunten Hemd, dessen Kopf beinahe auf dem Flügeldeckel klebt, gibt eine Gesangsdarbietung. Die ist aber aufgrund seiner etwas eigenartigen Mundstellung eher ironisch zu verstehen. Soll das etwas mit seiner Herkunft zu tun haben? Das verspricht ja ein ganz attraktives Unternehmen mit wenig Hierarchie zu sein! Erwarte das Unerwartete!

Ich könnte noch darauf hinweisen, dass der Flügel sicher nicht ohne Grund weiß ist. Oder dass früher die Klaviertasten aus Elfenbein hergestellt wurden. Ist das etwa Zufall? 

Touristische Phantasiewelten im deutschen Winter

Dreimal Fernweh nebeneinander plakatiert bei mir um die Ecke. Einmal europäische Kulturlandschaft mit Burgen in Osteuropa, einmal menschenleere Berglandschaften bei denen nur die Palmen anzeigen, dass sie sich nicht in Europa befinden, und schließlich unkontrollierbare Naturgewalten und bemalte Menschenkörper im Fernen Süden. So ordnen sich die Lichtspielhäuser im Interesse des Tourismus die Welt. 

Zufall oder nicht, dass ausgerechnet diese Bilder für die Werbeplakate ausgewählt werden? Die Trailer der Shows im Internet beweisen leider das Gegenteil.

Dirk Bleyers „Masuren“-Show wird beworben mit pseudo-klassischer Klavierkonzertmusik, zu der Landschaften, historische Kulturstätten, Essen und ländliche Bevölkerung gezeigt werden. Eher romantisch als dramatisch wird es, wenn mal ein Gewitter übers – nicht so bezeichnete polnische – Land zieht. Das „Neuseeland“ Filmchen ist unterlegt mit irischer Folkmusik und präsentiert vorwiegend Landschaften und Tourismus mit eingestreuten Szenen des ländlichen Lebens von Weißen. Nur einmal kurz ist die Maske und Grimasse einer Maori-Frau reingeschnitten, um daran zu erinnern, wer die Inseln ursprünglich bewohnte. Ulla Lohmanns „Südsee-Abenteuer“ schließlich gibt Einblicke einer Expedition von Europäern zu aktiven Vulkanen, unterlegt mit einer wenig passenden Ludovico-Einaudi-Musik. Doch dann springen doch auf einmal die edlen „Urvölker“ vom Baum und tanzen und jauchzen sogar noch unverständliche Laute, wenn nicht gar ihre Schrumpfköpfe präsentiert werden.

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https://www.youtube.com/watch?v=U16mA05WEF8

In direkter Abfolge wird dann noch auf „neu entdeckten Tierarten“ hingewiesen. Kann man die Weltordnung zwischen den sogenannten „Zivilisierten“ und „Unzivilisierten“ besser konstruieren? 

Seit den Attentaten in Christchurch sollten nun wirklich alle wissen, dass Neuseeland kein menschenleeres Tourismus-Resort mehr ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch andere Nachrichten aus dem erträumten Paradies in der Südsee erhalten werden. Wir würden gut daran tun, uns schon vorab ein wenig mehr mit den Realitäten auf dieser Welt zu befassen.