Archiv für den Monat: Januar 2019

Wie exotisch klingt Software?

Bei einem Bekannten im Regal entdecke ich zu meiner Überraschung ein „Samba-Buch“. Er arbeitet als System-Administrator bei einem deutschen Fernsehsender in Berlin und ich hatte gar nicht gewusst, dass er sich auch für brasilianische Musik interessiert. 
Es handelt sich bei dieser „Samba“ aber gar nicht um eine Musik, sondern um ein Netzwerkprogramm, „mit dessen Hilfe das SMB-Protokoll auf die Unix-Ebene abgebildet werden kann“. Hm. Das groovt.

Nach kurzer Recherche stelle ich fest: das ist nicht das einzige technologische Programm, das sich den Namen von einem nicht-europäischen Musikstil geklaut hat. Es gibt die Tango soloDTP-Software, den Cha-Cha-Chat, die Salsa20Stromverschlüsselungssoftware oder die BebopDatenbank-Software. Alles akronymer Zufall?

Es ist für mich logisch, dass Musiksoftware sich mit Fachbegriffen wie Finaleoder Komponistennamen wie Sibeliusschmückt, um sich besser zu verkaufen. Aber oben genannte Programme haben weder mit Musik im allgemeinen, noch mit den Herkunftskulturen der Stile etwas zu tun. Durch solche klangvollen Titel versuchen die Entwickler vielmehr, das Image ihrer trockenen digitalen Programme aufzupolieren und Dynamik, Tempo, Rhythmus und coolen Lifestyle zu vermitteln. Vielleicht denken sie auch, das Gemeinschaftserlebnis bei Tanzveranstaltungen hätte einen Zusammenhang mit digitalen Netzwerkstrukturen?

Das funktioniert alles mit fremden Musikstilen anscheinend einfach besser. Es gibt meinen Nachforschungen nach noch keine Ländleroder SchuhplattlerSoftware. Dabei sind die Deutschen doch angeblich Exportweltmeister. Aber wer weiß, ob sich die Wahrnehmung da nicht vielleicht doch noch mal dreht: eine WaltzSoftware und eine Polka Software gibt es schon. Die Einschläge rücken näher. Nur wird so wahrscheinlich irgendwann niemand mehr wissen, dass wir es ursprünglich mit Musik zu tun hatten.

Kennst ja unsere Herzen…

Christ ist natürlich ein prima Markenname, um kostbare Weihnachtsgeschenke anzupreisen. Besonders reiche, weiße Männer sollen bitte für ihre Frauen viel Geld ausgeben. Damit das golden-weiß glitzernde Herz-Kettchen besonders hervorsticht, macht es sich gut an dem Körper einer schwarzgekleideten schwarzen Frau. Und ein schönes Weihnachtslied dazu verschleiert die wahren Umstände, die dahinterliegen: „Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt mit seinen Gaben…“

Nein, dieses Geschenk „kann das nicht“. Es will es auch nicht. Ich glaube, es ist im Januar jetzt an der Zeit, falsche Gaben zurückzugeben, umzutauschen oder gar zurückzuweisen.

Zunächst einmal sollte sich Christ fragen, wie gut es eigentlich seinen Photoshop „kann“. Der weiße Mann, der hier herrisch die schwarze Frau am Bauch umfasst – die so gar keine Anstalten macht, seine Berührung zu erwidern – erscheint mir wenig überzeugend in das Bild montiert. Wo befindet sich seine rechte Hand? Drückt er der Frau wirklich seinen Handrücken in den Rücken?
Sein stürmischer, zu allem bereiter Gesichtsausdruck hat zudem etwas Vereinnahmendes, das im starken Kontrast zum verträumten Lachen der Frau hat. Lässt die alles mit sich machen, sobald der Klunker um ihren Hals hängt? Ihre Frisur ist außerdem in Analogie zu dem Herz-Kettchen geformt, wie auch das Dreieck Brüste–männliche Hand. Lässt sich diese schwarze Frau also auch einfach für 499,- Euro kaufen? Shopping 24/7? Wie heißt es nicht so schön in dem Lied: „Bring uns lieber Weihnachtsmann, bring auch morgen, bringe…“

Wir wissen natürlich gar nichts über diese schwarze Frau. Da sie aber in so starkem farblichen Kontrast zum Rest des Bildes gesetzt ist, liegt es nahe, sie mit dem „Fremden“ zu assoziieren. Schwarzes Gold? Eine Afrikanerin womöglich?

Dann werden einer Frau Edelmetalle zurückgeschenkt, die vorwiegend von ausländischen Konzernen in afrikanischen Ländern geschürft werden. Ist ja wunderbar! In einer Zeit, wo in der Kultur die Frage heiß diskutiert wird, ob koloniale Güter aus europäischen Museen wieder an afrikanische Länder zurückgegeben werden sollen, inszeniert sich hier ein Hersteller als Heiland, der die Armen beschenkt, wenn die weißen Reichen das nötige Geld dafür geben. Na dann: „Doch du weißt ja unsren Wunsch, kennst ja unsere Herzen…“

Klangloses Menschenrechts-Jubiläum

Amnesty International hat in ihrem aktuellen Magazin ein fröhliches Wimmelbild mit allen 28 Artikeln der Menschenrechtserklärung abgedruckt. Das ist meiner Meinung nach eine feine Idee: übersichtlich, mit einem zwinkernden Auge und reproduziert kaum Stereotype, was bei der Vereinfachung der Visualisierungen sehr leicht passieren könnte. Ich frage mich nur: wo bleibt hier das Kulturleben der Menschheit? Unter den 28 Szenen des Bildes gibt es genau eine Szene, auf der ein Musiker erscheint. Theater und Tanz existiert gleich gar nicht. Von musizierenden Frauen ganz zu schweigen.

Dabei ist so viel Gutes auf dem Bild zu entdecken. Die Gleichheit der Geburt verschiedener Menschen wird durch gleiche Kleidung der Babys symbolisiert. Die Ablehnung von Diskriminierung ist erstaunlich farbenblind gemalt. Der Ehebegriff ist selbstverständlich erweitert und kulturblind dargestellt.

Aber gerade bei den Hochzeiten, fehlen die in den meisten Kulturen dazu gehörigen Gemeinschaftsfeiern. Die Religionszugehörigkeit wird ebenso ohne jedes Gemeinschaftsritual mit Gesang oder Tanz dargestellt. Unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung wird  nur die öffentliche Rede verstanden, nicht das Lied oder de Performance. Auch zur Freizeitgestaltung scheinen kulturelle Aktivitäten nicht zu gehören.

Einzig bei dem Recht auf künstlerische Freiheit erscheint der Weiße Hippie mit der Gitarre. Dieser äußert sich zwar politisch, aber ist doch in westlichen Kulturen nie ernsthaft von politischer Verfolgung bedroht. Wie anders geht es da Musiker*innen in autokratischen und religiösen Staaten. Wären die nicht die besseren Personen an dieser Stelle gewesen?

Und letztlich stellt sich mir schon die Frage, was für eine individualistisch-westliche Vorstellung hinter diesem Bild im Ganzen steckt, wenn Bereiche des Lebens wie der Glaube oder die Ehe, die kulturell ohne Gemeinschaft gar nicht zu denken sind, hier so abgebildet werden, als ginge es dabei nur um individuelle Entscheidungen von Einzelnen. Haben die so wichtigen Menschenrechte in unser Zeit überhaupt eine Chance, wenn sie nicht an die Gemeinschaft gebunden, von der Gemeinschaft diskutiert und von der Gemeinschaft getragen werden?